Erasmusbrücke

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Die Erasmusbrücke ist so repräsentativ, wie Architektur im calvinistischen Holland irgend sein kann. In den sechs Jahren zwischen Konzeption und Eröffnung der Brücke wurden die traditionellen Grenzen zwischen Architekt und Bauingenieur vollständig verwischt. Die Platzierung des 139m hohen Pylons vor das Nordereiland zwischen Nieuwe Maas und Koningshaven folgt dem städtebaulichen Gesichtspunkt, dass sich der Schwerpunkt der Stadt in Richtung auf den neuen Bezirk verlagert. Entsprechend den beiden verschiedenen Wasserwegen wurde die Brücke in einen aufgehängten und klappbaren Abschnitt untergliedert, der sich für die Durchfahrt übergroßer Schiffe hydraulisch anheben lässt.
In einem frühen Entwurfsstadium wurde der Pylon als eine frei stehende Betonkonstruktion konzipiert. In der endgültigen Version wird er hinten von vier Spannkabeln gehalten, die ein Dreieck bilden, das auf zwei massiven Pfeilern sitzt, die aus dem Flussbett der Maas aufragen. Der gegabelte Pylon schiebt sich von der Horizontale in die Vertikale. Das Spiel der gegeneinander wirkenden Kräfte friert ihn in einem delikaten Gleichgewicht ein, das von den Zugkabeln des Decks und seinem eigenen Gewicht bestimmt wird. Die Plastizität der gegeneinander wirkenden Kräfte zeigt die kritischen Rahmenbedingungen der Entwurfsmethode von van Berkel und Bos, die konstruktive Eigenschaften zur Verfeinerung der Architektur einsetzt.
Zwei der größten Schiffskräne der Welt wurden benötigt, um die vorgefertigten Stahlteile zusammen zu setzten und die fertige Konstruktion in ihre Endstellung zu heben. Das Spektakel dieser marinetechnischen Ingenieurleistung wurde nur noch von der Panik übertroffen, die ausbrach, als kurz nach den Eröffnungsfeierlichkeiten die Spannkabel des Decks bei schlechtem Wetter wild zu schwingen anfingen. Offensichtlich verhinderten starke Windböen, dass das Regenwasser von den Kabeln abfloss, die dann unter der zusätzlichen Last zu schwingen begannen. Die gefundene Übergangslösung besteht darin, die Kabel durch eine Reihe gigantischer Bänder kreuzweise zu verspannen und so ihre Beweglichkeit auf ein Minimum zu reduzieren.
Trotz dieses Missgeschicks ist die Erasmusbrücke mit ihrer durchmodellierten Tektonik ein großer Erfolg. Die beeindruckende Zahl der sorgfältig gestalteten Verbindungsstücke, Geländer und landschaftlichen Elemente auf der Oberfläche der Brücke macht die Haltung der Architekten gegenüber den Materialien wortwörtlich fühlbar. Jedes Detail wurde in eine überall vorhandene Dynamik eingegliedert, die keinen geraden Winkel und keine ebene Oberfläche übrig lässt. Diese Dynamik zeigt sich dann, wenn der hydraulische Abschnitt angehoben wird. Die Richtung der Wasserstraße schneidet den Verlauf der Brücke in einem Winkel von fast 70 Grad. Sieht man vom Deck aus, wie die 60m lange Rampe einen sanften Bogen gen Himmel beschreibt, wirkt es, als wäre dieser Stahlklumpen durch irgendein Erdbeben aus seiner Lage gebracht worden.
Doch diese eindrucksvolle Verschmelzung von Konstruktion und Ereignis erschöpfte den Einfallsreichtum der Architekten noch nicht. Die Färbung der Erasmusbrücke, die an bedeckten Tagen mit dem Grau der Wolkendecke verschmelzt, verwandelt sich nachts in ein schimmerndes Blau.